Eine persönliche Betrachtung für die Zukunft der Schule von Dörte Winkler, die dazu einlädt, das eigene Weltbild zu reflektieren – für unsere Kinder und unsere Gesellschaft
Welches Weltbild, welche Werte wollen wir unseren Kindern in Zukunft in der Schule vermitteln?
Kürzlich fiel im Rahmen eines Zoom – Meetings der Landeselternkonferenz ganz nebenbei, kaum beachtet ein wichtiges Statement: Das Leben ist Leistung. Nur eine kurze Bemerkung, die im Chat vor allem damit kommentiert wurde, ob unser momentaner Corona – Schulansatz dem denn entsprechen würde.
Für mich war das ein Signal dafür, einmal darüber nachzudenken, was wir denn eigentlich mit unserem Schulsystem bezwecken. Welche Werte wollen wir vermitteln? Ist es wirklich das Leistungsprinzip?
Schauen wir uns doch mal an, wo uns das hingebracht hat: Stress, Druck und kaum Zeit für Dinge, die uns wichtig sind und Freude machen. Väter – und zunehmend auch Mütter – die ihre Kinder kaum noch sehen, ein Leben – das in Work und Life getrennt ist und dessen Balance oft weit weg vom Leben ist. In Folge dessen kommt es immer mehr zu psychosomatischen Krankheiten, Burn -Out und einem geschwächten Immunsystem. Das geht so weit, dass wir nun aus Angst vor einem Virus die ganze Gesellschaft lahmlegen – statt zu schauen, wodurch wir unsere Körper so angreifbar machen und wie wir es schaffen können, ganzheitlich zu gesunden.
Ich hatte in diesem Leben schon meinen Burn – Out und für mich ist das Leistungsprinzip nichts, was ich an meine Kinder weitergeben möchte, auch wenn es mir manchmal noch schwer fällt, aus dem System auszusteigen. Aber wir haben momentan die große Chance, neu zu denken.
Und da möchte ich alle Eltern und natürlich auch Lehrer und Politiker einladen, innezuhalten und nachzudenken: Welches Weltbild, welche Prinzipien sind denn für unsere Kinder zukunftsweisend? Wie wäre es, wenn wir anstelle des Statements „Das Leben ist Leistung“ „Das Leben ist Freude“ als Grundlage für unser Schulsystem wählen? Denn in Freude steckt Energie, Motivation und Kraft. Daraus können großartige Dinge entstehen. Ohne Begeisterung, ohne Freude, ist unsere Leistung nur ein Antrieb, der uns aussaugt und Leere hinterlässt.
Leider ist Freude das, was in unserem bisherigen Schulsystem am meisten zu kurz kommt. Die Folge (um hier nur mal eine zu nennen): Unsere Kinder flüchten sich in online Games und virtuelle Welten, weil – mal ehrlich – was hat das echte Leben dagegen zu bieten? Hausaufgaben, Pflichten und Beurteiltwerden stehen weit vorne. Kein Wunder, das Schulfrust zunimmt und auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten schrumpft. Ich war z.B. erschrocken, wieviel Kraft es mich gekostet hat, meinen 12jährigen Sohn im Rahmen des Homeschoolings dazu zu überreden, ein Bild zu malen, weil er überzeugt war: „Ich kann nicht malen“. Ich erinnere mich da an eine 5 in Kunst in der 5. Klasse – ist das wirklich ein Weg, wie wir die Potentiale unserer Kinder fördern und sie inspirieren, sich auszuprobieren?
Mir wurde in den letzten Tagen bewusst, wie weit die Meinungen, auch der Eltern, insgesamt auseinandergehen, wenn es um Fragen des Schulsystems geht. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir alle uns jetzt mit dieser Frage beschäftigen: Was ist wirklich wichtig für die Zukunft unserer Kinder? Was sollen unsere Kinder im Schulsystem lernen, was möchten wir, das sie mitnehmen, woran soll sich unser Schulsystem orientieren – mal unabhängig davon, ob der Unterricht von zu Hause oder der Schule aus stattfindet? Und ja, ich finde, wir dürfen neu denken, auch unsere Gesellschaft. Ich jedenfalls habe gewählt und wünsche mir ein Schulsystem, dass auf Freude, Liebe und Menschlichkeit basiert. Und wer jetzt meint, dass diese Vorstellung doch vollkommen an der Realität vorbei geht, den möchte ich auf den 2. Teil meines Beitrags verweisen, wo ich eine etwas andere Sichtweise darstelle, wie es vielleicht zu dieser Leistungsgesellschaft gekommen ist und wie wir eine neue Richtung einschlagen können.
Lesen Sie auf Seite 2: Woher kommt unser Leistungsantrieb und was wählen wir für die Zukunft?